Experten-Prognose: Quo vadis, EZB-Leitzins?

Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft gegen die hohe Inflation und hob die Leitzinsen mehrfach an – zuletzt am 20. September 2023 um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 4,50 Prozent. Es handelte sich bereits um die zehnte Anhebung in Folge innerhalb von 14 Monaten. Ebenfalls nach oben ging es mit den anderen Schlüsselsätzen. So kletterte der Einlagenzins aktuell auf 4,00 Prozent und der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität liegt bei 4,75 Prozent. Diese strafe Zinspolitik der EZB hat aber, wie jedes Medikament, positive Auswirkungen und Nebenwirkungen. Ebenfalls gilt: Die Nebenwirkungen steigen mit der (Zins-)Dosis. Wir haben deshalb bei verschiedenen Banken nachgefragt, inwieweit die Behandlung bereits anschlägt oder ob die Zentralbank weiter nachlegen muss.

Ist der Zins-Peak in der Eurozone erreicht?

Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken will noch keine Entwarnung geben und hält die Geldpolitik der EZB für angemessen. Laut Aussage der BVR-Präsidentin Marija Kolak sei aber "nun die Zeit für eine Zinspause gekommen." Den Ausruf eines generellen Zinsstopps hält sie aber für verfrüht.

Auch bei der Commerzbank sind sich die Ökonomen weitestgehend einig, dass der letzte Zinsschritt notwendig war. Bei der Abwägung, ob weitere Erhöhungen folgen sollten oder nicht, sind die Aussagen jedoch weniger konkret. Einerseits sei es fraglich, ob die Leitzinsen bereits hoch genug sind, um das tiefsitzende Inflationsproblem zu lösen. Andererseits sorgten die eher negativen konjunkturellen Frühindikatoren dafür, dass zusätzliche Anhebungen ausbleiben dürften. Ergebnis: Die durchschnittliche Inflation wird das Ziel von zwei Prozent wahrscheinlich verfehlen.

Bei der Baader Bank sind sich die Experten sicher: Die 10. Zinssteigerung war die letzte. Es wird auf die Erklärungen der EZB verwiesen, dass die Zinsen mittlerweile ein Niveau erreicht hätten, das "einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert […] leistet."

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband e.V. sieht den Zins-Peak zwar vorerst als erreicht an, will indes nicht ausschließen, dass 2024 noch einmal nachgelegt werden muss. Sofern die Inflationsrate sich nicht wie prognostiziert zurückbildet, sollte eine weitere Erhöhung kommen. Das wäre, so der DSGV, eine richtige Entscheidung.

Ähnlich äußert sich Dr. Alexander Krüger, Chefvolkswirt von Hauck Aufhäuser Lampe, der den Leitzinsgipfel für erreicht hält. „Eine weitere Zinsanhebung wird für den Fall unliebsamer Inflationsüberraschungen aber noch länger in der Luft liegen“, so Krüger.

Ein weiteres Statement erhalten wir von Dr. Klaus Bauknecht, dem Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG: "In den kommenden Monaten sollten sich Konjunktur und Inflation stabilisieren, sodass die EZB mit einem Einlagenzinssatz von 4,00 Prozent das höchste Niveau im aktuellen Zinszyklus nun erreicht hat." Hier geht die Prognose davon aus, dass der Inflationsdruck im Schatten der Konjunktureintrübung nachgeben sollte und sich die Sorgen über Zweitrundeneffekte und einem langanhaltenden Inflationsdruck legen dürften.

Auch von der TARGOBANK gibt es ein Statement, dass mehr Stabilität beim Leitzins vorhersagt: "Die Konjunkturabschwächung dürfte die EZB-Mitglieder zunehmend dazu veranlassen, eine weitere Anhebung der Leitzinsen auf den kommenden geldpolitischen Sitzungen auszuschließen."

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Wie hoch werden die Leitzinsen Ende 2023 bzw. im Jahr 2024 sein?

Beim BVR gab es hierzu keine klare Prognose. Es wird davon ausgegangen, dass die Inflation sich im Euroraum aber abkühlen wird – vor allem aufgrund der eingebremsten Konjunktur. Inwieweit die Leitzinsen entsprechend noch steigen müssen, bleibt ungewiss. Wie erwähnt, sehen die Ökonomen der BVR noch keinen Grund, eine weitere Erhöhung gänzlich auszuschließen.

Bei der Commerzbank halten die Experten zumindest eine Zinssenkung für 2024 für wenig wahrscheinlich. Für solche Schritte bleibe der unterliegende Inflationsdruck zu hoch. Im Bereich der 4,50 Prozent dürfte sich der Leitzins damit im kommenden Jahr bewegen.

Klarer liegt die Vorhersage bei der Baader Bank, die zum Jahresende weiterhin einen Leitzins von 4,50 Prozent sieht. Für 2024 sollte, so die Ansage aus Bayern, eine Zinswende anstehen – ab Frühsommer und mit einem Zinsziel im Winter 2024 von ca. 3,25 Prozent.

Bei dem derzeitigen Zinssatz von 4,50 Prozent würde auch der Sparkassenverband in diesem Jahr verbleiben. 2024 könnten hingegen erste Leitzinssenkungen in Reichweite kommen, so die Experten des DSGV. "Aber auch nur dann, wenn die Inflationsrückbildung mindestens planmäßig erfolgt und für 2025 tatsächlich eine Zielerreichung beim Inflationsziel absehbar wird", so eine Aussage des Verbandssprechers.

Dr. Alexander Krüger von Hauck Aufhäuser Lampe stimmt insofern zu, dass die EZB zinstechnisch nun längere Zeit stillhalten wird. "Entspannt sich die Inflationslage, wird die EZB ihre stark restriktive Geldpolitik Mitte 2024 nicht mehr für notwendig ansehen. Dies auch deshalb, weil von der Bilanzverkürzung beständig restriktive Impulse ausgehen. Für 2024 sind zwei oder drei Zinssenkungen in kleinen Schritten wahrscheinlich", erläutert der Chefvolkswirt der Privatbank.

Einhellig schließt auch Dr. Bauknecht von der IKB darauf, dass keine weitere Zinsanhebungen im Jahr 2023 erfolgen werden. Erste Zinssenkungen sieht er im Jahr 2024. Der Leitzins sollte demnach am Jahresende bei 4,60 Prozent liegen und Ende 2024 bei 4,00 Prozent.

Keine Veränderungen in nächster Zeit prognostiziert ebenfalls die TARGOBANK. Im Verlauf des kommenden Jahres werden sie aber für möglich gehalten.

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Wäre eine Zinspause im September 2023 besser gewesen? Wie wird die aktuelle Leitzinserhöhung durch die EZB bewertet?

Ob und inwiefern die Zinspause zu spät oder zu früh gekommen ist, liegt im Auge des Betrachters. Generell sei die Zinspause aber Ausdruck eines Dilemmas, in dem die EZB steckt.

"Einerseits ist ihr Primärauftrag die Preisstabilität, andererseits muss sie ebenso die schwache Konjunktur im Euro-Raum im Blick haben, die durch gewaltige Strukturdefizite zusätzlich gebremst wird", erklärt uns die Baader Bank. Zudem bereite der Zentralbank die Finanzierbarkeit der überbordenden Verschuldung Sorgen. "Eine erneute Euro- bzw. Finanzkrise ist das letzte, was der angeschlagene Währungsraum jetzt braucht", so die Experten aus Unterschleißheim. Wenn es indes hart auf hart komme, laute die Devise: Konjunktur- und Euro-Stabilität vor Preisstabilität.

Bezüglich des Zeitpunkts der Zinspause sieht der DSGV keinen großen Unterschied, ob es 25 Basispunkte mehr oder weniger gewesen wären. Es sei jetzt erst einmal gut, das herrschende Niveau erreicht zu haben und die EZB könne aus einer „neutral aufgestellten Position die weitere Wirkung ihrer Maßnahmen abwarten.“

„Eine Zinspause [im September] hätte Zweifel am Ernst der Inflationsbekämpfung geschürt“, bewertet Dr. Alexander Krüger von Hauck Aufhäuser Lampe den letzten Zinsschritt. Seine Meinung: „Da der Realzins negativ bleibt, ist nur das Minimum einer ambitionierten Inflationsbekämpfung erfüllt.“

Bei der IKB klingt der Ton annähernd gleich. Die Zinsanhebung war, so Dr. Klaus Bauknecht, erforderlich, um die Glaubwürdigkeit der EZB zu dokumentieren. Das Ziel der Zentralbank sei wohl, Skeptiker davon zu überzeugen, nicht langfristig eine Inflation über dem Inflationsziel zu erwarten. "Die EZB wird nicht auf die Konjunktureintrübung reagieren, sondern in erster Linie auf einen Rückgang des Inflationsdrucks", sagt Bauknecht. Der letzte Zinsanstieg war insofern wichtig, um die Prioritäten der EZB zu bestätigen.

Nach Ansicht der Experten der TARGOBANK wird die Zinspause bis ins 3. Quartal 2024 anhalten. "Diese Hypothese wurde von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane in einer Rede geäußert, in der er bekräftigte, dass die Leitzinsen auf lange Sicht restriktiv bleiben müssen", so die Aussage. Dies werde umso notwendiger sein, da die Experten des Instituts glauben, dass das Szenario einer wirtschaftlichen Rezession in Europa vorerst nicht zu erwarten ist.

Zinspause bis Ende 2023 Prognose zum Jahresende (in %) Prognose 2024 (in %)
BVR ja 4,50 ca. 4,50 - Zinssenkung wenig wahrscheinlich
Baader Bank ja 4,50 ca. 3,25 bis Jahresende
Commerzbank ja 4,50 ca. 4,50 - Zinssenkung wenig wahrscheinlich
DSGV ja 4,50 niedriger als 4,50
Hauck Aufhäuser Lampe ja 4,50 ca. 3,75 bis 4,00
IKB ja 4,50 ca. 4,00
TARGOBANK ja 4,50 ggf. höher als 4,50 - aber erst nach Q3/2024
TGV.net ja 4,50 ca. 4,00
Quelle: Tagesgeldvergleich.net

Fazit

Mehrheitlich sind sich die Experten einig. Eine Zinspause nach dem 10. Anstieg der Leitzinsen in der Eurozone ist angebracht. Wie lange jene dauern sollte bzw. ob danach die ersten Zinssenkungen folgen, darüber herrschen hingegen unterschiedliche Meinungen vor. Während einige Volkswirte Zinsanpassungen nach unten im kommenden Jahr 2024 prognostizieren, sind andere eher vorsichtig mit entsprechenden Aussagen. Klar dürfte hingegen sein, dass nach "steil aufwärts" nicht gleich "steil abwärts" kommt. Insofern sind Vorhersagen von unter 3,50 Prozent zum Jahresende 2024 schon das Maximum erwartbarer Absenkungen. Die EZB wird sich wohl, so die Aussichten der meisten Volkswirte, zunächst einmal Zeit lassen, die Situation datenbasiert zu bewerten. Insofern dürfte zumindest bis Jahresende tatsächlich wenig passieren – weder in die eine noch in die andere Richtung.

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